Kurzzusammenfassung
Prof. Klaus Wirth präsentierte auf der diesjährigen Fatigatio-Fachtagung ein umfassendes Krankheitsmodell und eine mögliche Therapie für #MECFS. Er erklärte, dass ME/CFS häufig nach Infektionen wie #COVID-19 auftritt und sich durch extreme Belastungsintoleranz sowie Post-Exertional Malaise (PEM) auszeichnet. Seiner Hypothese zufolge sei eine belastungsinduzierte Muskelschädigung der zentrale Mechanismus, ausgelöst durch komplexe Gefäß- und Durchblutungsstörungen.
Wirth betonte, dass sich bei einigen Betroffenen nach einer akuten Infektion, wie COVID-19, ein Post-COVID-Syndrom entwickle, das durch mikrovaskuläre Störungen geprägt sei. Bei etwa 15% gehe dies in eine dauerhafte Erkrankung über, die zu ME/CFS führe. Dabei verändere sich die Pathophysiologie von einer kapillären hin zu einer mitochondrialen Dysfunktion. Der ursprüngliche Auslöser, wie eine Virusinfektion, verliere die Bedeutung, da ME/CFS sich selbst erhalte.
Wirth hob hervor, dass ME/CFS in einem selbstverstärkenden Teufelskreis chronifiziert werde, bei dem Belastung die Mitochondrien schädige und ME/CFS verschlimmere. Dies erkläre, warum Symptome vor allem nach Anstrengungen auftreten. Er erklärte, dass die Symptome von einer mikrovaskulären Dysfunktion ausgehen, die vor allem die Muskulatur und das Gehirn betrifft. Der Natrium-Proton-Austauscher (NHE-1) verursache dabei eine Natriumüberladung in den Muskelzellen. Zudem erwähnte er die Dysfunktion der Beta-Rezeptoren, die durch Autoantikörper blockiert würden, und die Small-Fiber-Neuropathie, welche die Reaktion des Körpers auf Belastungen weiter beeinträchtige.
Eine Calciumüberladung in den Muskelzellen verschärfe weiter die mitochondriale Dysfunktion, was die ATP-Produktion und somit die Energieversorgung der Zellen einschränke. Klinische Befunde zeigten eine erhöhte Natriumkonzentration in den Muskeln von ME/CFS-Betroffenen, die negativ mit der Muskelkraft korreliere.
Abschließend stellte Wirth das neue Medikament #MDC002 vor, das die Natrium- und Calciumüberladung verhindern und die belastungsabhängigen Symptome
lindern könnte. Die Entwicklung stehe noch am Anfang und werde durch finanzielle Hürden von 20 Mio. € gebremst.
Der Vortrag im Detail
1. Kardinalmerkmale und pathophysiologische Mechanismen
Die Kardinalmerkmale der Krankheit sind Post-Exertional Malaise und Belastungsintoleranz. Wirth betont, dass diese Symptome auf eine mikrovaskuläre Dysfunktion zurückzuführen sind, die besonders die Muskulatur und das Gehirn betrifft. Die Muskulatur kann unter normalen Umständen ihre Durchblutung um das 30-Fache erhöhen, das Herz um das 4-Fache. Bei ME/CFS-Betroffenen ist dies aufgrund der gestörten Gefäße nicht möglich. Dies führt zu einer Minderdurchblutung und damit zu einer Störung des Muskelstoffwechsels.
2. Natrium-Proton-Austauscher und Ionendysfunktion
Eine zentrale Rolle spielt der Natrium-Proton-Austauscher (NHE-1), der bei Durchblutungsstörungen aktiviert wird. Dieser Austauschmechanismus führt zu einem Anstieg des intrazellulären Natriums in den Muskelzellen, was wiederum zu einer Überladung der Zellen mit Natrium führt. Diese Natriumüberladung beeinträchtigt die Funktion der Natrium-Kalium-ATPase, einer Pumpe, die normalerweise Natrium aus der Zelle heraus und Kalium hinein transportiert. Diese Pumpe ist für die Aufrechterhaltung des Ionenhaushalts unerlässlich und benötigt große Mengen an ATP (Energie), um effektiv zu arbeiten. Bei ME/CFS-Patienten kann die Pumpe nicht ausreichend aktiviert werden, insbesondere nicht unter Belastung, was zu einer weiteren Verschlechterung der Muskelfunktion führt.
3. Beta-Rezeptoren und Small-Fiber-Neuropathie
Ein weiterer Aspekt der Pathophysiologie ist die Dysfunktion der Beta-Rezeptoren. Beta-Rezeptoren sind wichtig, um die Aktivität der Natrium-Kalium-ATPase zu stimulieren. Bei ME/CFS-Betroffenen werden diese Rezeptoren jedoch oft durch Autoantikörper gegen Beta-2-Rezeptoren blockiert. Dies führt zu einer verminderten hormonellen Stimulation der Natriumpumpe. Gleichzeitig sind die kleinen Nervenfasern (Small Fibers) betroffen, was als Small-Fiber-Neuropathie bezeichnet wird. Diese Nervenfasern produzieren normalerweise CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide), ein Neuropeptid, das ebenfalls an der Aktivierung der Natriumpumpe beteiligt ist. Eine Schädigung dieser Nervenfasern reduziert die Verfügbarkeit von CGRP und verschlechtert so die Fähigkeit des Körpers, auf Belastungen angemessen zu reagieren.
4. Calciumüberladung und mitochondriale Dysfunktion
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Calciumüberladung in den Muskelzellen. Normalerweise wird Calcium durch den Natrium-Calcium-Austauscher (NCX) aus der Zelle transportiert. Wenn jedoch zu viel Natrium in der Zelle vorhanden ist, kehrt dieser Mechanismus um, und Calcium wird in die Zelle hinein transportiert. Dies führt zu einer Calciumüberladung, die die Mitochondrien (die Energiekraftwerke der Zelle) schädigen kann. Die Mitochondrien sind für die Produktion von ATP verantwortlich. Eine Schädigung der Mitochondrien reduziert die ATP-Produktion und somit die Energie, die für die Muskelarbeit benötigt wird. Dies verstärkt die Belastungsintoleranz und trägt zur Chronifizierung der Krankheit bei.
5. Teufelskreis der Krankheit
Wirth beschreibt einen Teufelskreis, in dem die Natriumüberladung zur Calciumüberladung führt, was wiederum die Mitochondrien schädigt und die ATP-Produktion reduziert. Durch den Mangel an ATP kann die Natrium-Kalium-ATPase nicht ausreichend aktiviert werden, was die Ionendysfunktion weiter verstärkt.
Gleichzeitig produziert die Schädigung der Mitochondrien reaktive Sauerstoffspezies (ROS), die nicht nur die Natriumpumpe hemmen, sondern auch die Gefäße schädigen, was zu weiteren Durchblutungsstörungen führt. Dieser Teufelskreis ist selbsterhaltend und sorgt für die chronische Verschlechterung des Krankheitsbildes.
6. Diagnostische Befunde
Wirth verweist auf klinische Befunde, die eine erhöhte Natriumkonzentration in den Muskeln von ME/CFS-Betroffenen nachweisen. Diese erhöhte Natriumkonzentration korreliert negativ mit der Handkraft – je höher die Natriumkonzentration, desto schwächer ist die Handkraft. In einer Studie wurde gezeigt, dass der Verlust der Handkraft ein Prognosefaktor für die Schwere der Symptome und den Krankheitsverlauf ist.
Biopsien der Skelettmuskulatur zeigen klare Hinweise auf Schädigungen der Muskelzellen, einschließlich Nekrosen und Regeneration. Diese Befunde sind belastungsabhängig: Je mehr Muskeln belastet werden, desto größer ist der Schaden.
7. Therapeutisches Konzept
Auf Grundlage dieser Pathophysiologie hat Wirth ein therapeutisches Konzept entwickelt, das auf der Reduktion der Natrium- und Calciumüberladung basiert. Ein neu entwickeltes Medikament, MDC002, stimuliert die Natrium-Kalium-ATPase und den mitochondrialen Natrium-Calcium-Austauscher (NCLX), um die Natrium- und Calciumüberladung zu verhindern. Zusätzlich verbessert das Medikament die Durchblutung und reduziert die Gefäßdurchlässigkeit, was die belastungsabhängigen Symptome von ME/CFS lindern könnte.
8. Herausforderungen in der Medikamentenentwicklung
Die Entwicklung des Medikaments steckt jedoch noch in den Anfängen und wird durch finanzielle Hürden gebremst. Wirth betont, dass weitere Schritte, wie Toxikologietests und klinische Studien, Zeit und erhebliche finanzielle Mittel erfordern. Er weist darauf hin, dass die Entwicklung eines Medikaments normalerweise etwa sieben Jahre dauert, aber mit ausreichender Finanzierung könnte dieser Prozess beschleunigt werden.
9. Zusammenfassung
Die Folien des Vortrags zeigen eine grafische Darstellung des Teufelskreises der Krankheit, wobei die zentralen Mechanismen der Natrium-Kalium-ATPase, des Natrium-Proton-Austauschers und der Mitochondrien dargestellt werden. Wirth erklärt anhand der Folien, wie die verschiedenen Faktoren der Krankheit ineinandergreifen und sich gegenseitig verstärken. Die Folien verdeutlichen auch die biochemischen Prozesse, die zur Schädigung der Mitochondrien und zur Chronifizierung der Krankheit führen.
Fazit: Prof. Klaus Wirths Arbeitshypothese beschreibt ME/CFS als eine erworbene mitochondriale Myopathie, die durch gestörte Durchblutung und Ionendysfunktion hervorgerufen wird. Laut der Theorie von Prof. Wirth haben sowohl kognitive als auch körperliche Überlastung bei ME/CFS eine ähnliche Grundlage: gestörte Durchblutung und eine daraus resultierende Energiekrise in den betroffenen Zellen, sei es im Gehirn oder in den Muskeln. Dies führt zu einer Überlastung der Zellen, wodurch sich Post-Exertionelle Malaise (PEM) nicht nur auf die ursprüngliche Belastung beschränkt, sondern auch auf andere Bereiche übertragen kann.
Das bedeutet, dass sowohl kognitive Überlastung Muskel-PEM auslösen kann, als auch umgekehrt: körperliche Anstrengung kann zu kognitiver Fatigue führen. Diese wechselseitige Beeinflussung kommt durch die vernetzten Systeme im Körper zustande – das Gehirn und die Muskulatur sind eng miteinander verbunden.
Daher ist es wichtig, sowohl körperliche als auch kognitive Überlastung zu vermeiden, um PEM in all seinen Formen zu verhindern.
Sein Therapieansatz, der auf der Stabilisierung des Ionengleichgewichts basiert, bietet einen vielversprechenden Weg, um den Krankheitsverlauf zu unterbrechen und die Mitochondrien zu schützen.
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MDC002 und die Hypothese dahinter… einfach erklärt!
Stell dir vor, deine Muskelzellen sind wie kleine Fabriken, die ständig arbeiten, um Energie zu erzeugen und Aufgaben zu erfüllen. Diese Fabriken brauchen einen regelmäßigen Fluss von Rohstoffen und Energie, um gut zu funktionieren. In den Zellen gibt es zwei wichtige Maschinen:
🚡 Die Natrium-Kalium-Pumpe
Diese Pumpe arbeitet wie ein Aufzug, der Natrium aus der Zelle herauspumpt und Kalium hineinbringt. Sie braucht viel Energie (ATP), um richtig zu funktionieren, wie ein Aufzug, der Strom benötigt, um zu laufen.
🗑️ Der Natrium-Proton-Austauscher (NHE-1)
Diese Maschine ist wie ein zusätzlicher Abfallcontainer, der hilft, überschüssiges Natrium aus der Zelle herauszunehmen, um das Gleichgewicht zu halten.
Bei Menschen mit ME/CFS gibt es jedoch mindestens 4 Probleme:
🩸 Durchblutungsstörung
Die Fabrik hat Probleme mit der Belieferung. Die Blutgefäße sind nicht in der Lage, genug Blut zu den Muskeln zu transportieren. Das ist wie eine Fabrik, die nicht genug Rohstoffe erhält, um zu arbeiten. Dadurch können die Zellen nicht richtig versorgt werden.
⚡️ Energieengpass
Die Natrium-Kalium-Pumpe kann nicht genügend arbeiten, weil nicht genug Energie (ATP) vorhanden ist, wie ein Aufzug, der nicht genug Strom hat und daher nicht richtig funktioniert. Wenn die Pumpe nicht richtig arbeitet, bleibt zu viel Natrium in der Zelle.
🧂 Natriumüberladung
Da zu viel Natrium in der Zelle ist, muss der NHE-1 extra hart arbeiten, um das überschüssige Natrium loszuwerden. Aber das kann er nicht immer effektiv tun.
🥛 Calcium-Problem
Normalerweise wird Calcium durch einen speziellen Mechanismus aus der Zelle herausgeholt. Doch wenn die Pumpe nicht richtig funktioniert, wird Calcium stattdessen in die Zelle gepumpt. Das schädigt die kleinen „Energiekraftwerke“ der Zelle, die Mitochondrien, und vermindert die Energieproduktion weiter.
👹 Teufelskreis
Diese Störungen führen zu einem Teufelskreis. Die beschädigten Mitochondrien können weniger Energie produzieren, was die Funktion der Natrium-Kalium-Pumpe weiter beeinträchtigt. Dadurch bleibt noch mehr Natrium in der Zelle, und das Problem verschärft sich.
➕ Zusätzliche Schwierigkeiten
Auch die Beta-Rezeptoren, die normalerweise helfen, die Natrium-Kalium-Pumpe zu aktivieren, sind durch andere Stoffe blockiert. Zudem sind kleine Nervenfasern (SFN) betroffen, die normalerweise bei der Regulierung von Natrium und Kalium helfen.
Zusammengefasst
In der Fabrik der Muskelzellen gibt es durch ME/CFS mehrere Probleme:
- Die Blutversorgung ist gestört,
- die Natrium-Kalium-Pumpe hat nicht genug Energie,
- es gibt eine Natrium- und Calciumüberladung,
- und die Mitochondrien werden geschädigt. Das führt zu einer schlechten Energieversorgung und erhöhter Fatigue.
Ein neues Medikament, MDC002, wurde entwickelt, um diesen Problemen entgegenzuwirken. MDC002 soll helfen:
- die überschüssigen Natrium- und Calciummengen zu reduzieren,
- die Blutversorgung zu verbessern und
- die Energieproduktion in den Zellen zu steigern, um die Symptome zu lindern.