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Dr. Rob Wüst: Skelettmuskelanpassungen und Post-Exertional Malaise

 

Kurzzusammenfassung

 

Fatigatio-Fachtagung 2024 | In seinem Vortrag hebt Dr. Rob Wüst die Ergebnisse seiner Studie hervor, die sich mit den muskulären Veränderungen und der Post-Exertional Malaise (PEM) bei #LongCOVID- und #MECFS-Betroffenen befasst. Diese Studie, die weltweit Aufmerksamkeit erlangte, liefert wertvolle Erkenntnisse darüber, wie sich körperliche Aktivität negativ auf Betroffene mit ME/CFS auswirken kann.

 

Muskelfasern

ME/CFS-Betroffene haben weniger ausdauernde Typ-1-Fasern, die normalerweise für längere Aktivitäten wichtig sind. Stattdessen haben sie mehr der rasch ermüdenden Typ-2-Fasern, was schneller zur muskulären Fatigue führt.

 

Weniger Muskelkraft

Trotz ähnlicher Muskelgröße produzieren Betroffene weniger Kraft. Dies deutet auf eine tieferliegende Muskeldysfunktion hin, die die Fähigkeit zur Kontraktion beeinträchtigt.

 

Mitochondriale Dysfunktion

Die "Kraftwerke" der Zellen – die Mitochondrien – sind bei ME/CFS-Betroffenen weniger effizient. Diese Dysfunktion verschlechtert sich nach körperlicher Belastung weiter, was zu einer Verstärkung der Symptome (PEM) führt.

 

Metabolische Störungen

Der Energiehaushalt der Muskeln ist bei Betroffenen stark gestört, was zu schnellerer Fatigue führt. Es gibt eine verstärkte Nutzung des anaeroben (ohne Sauerstoff) Stoffwechsels, der weniger effizient ist und zu schneller Fatigue beiträgt.

 

Post-Exertional Malaise und Muskelschäden

Nach körperlicher Aktivität zeigen Betroffene Muskelschäden und Anzeichen für Regeneration. Diese Schäden treten in einem viel stärkeren Ausmaß auf als bei gesunden Kontrollpersonen.

 

Die Ergebnisse widerlegen die Annahme, dass die Symptome von ME/CFS auf Dekonditionierung (Inaktivität) zurückzuführen sind. Stattdessen zeigen sie eine tiefgreifende Störung der Muskel- und Energieproduktion.

 

Für Betroffene, die an PEM leiden, kann zu viel körperliche Aktivität schädlich sein. Es ist entscheidend, die individuellen Belastungsgrenzen zu kennen, um eine Verschlechterung zu vermeiden.

 

Fatigatio-Fachtagung 2024 | Ab 01:11:00 min


 

Der Vortrag im Detail

 

1. Studienaufbau und Methodik

Dr. Wüst und sein Team führten eine Muskelbiopsie-Studie durch, um die Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf die Muskulatur von Long-COVID- und ME/CFS-Betroffenen zu untersuchen. Anstelle des üblichen und anstrengenden zweitägigen Belastungstests entschieden sie sich für eine innovative Methode: Es wurden zwei Muskelbiopsien entnommen – eine vor und eine nach einer milden körperlichen Belastung. Diese Methode sollte die Betroffenen schonen, während gleichzeitig die muskulären Veränderungen sichtbar gemacht werden konnten.

 

2. Wichtige Studienergebnisse

 

2.1 Muskelfasertypen und Fatigue

Eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie war der Unterschied in den Muskelfasertypen zwischen den Betroffenen und den gesunden Kontrollpersonen. Dr. Wüst fand heraus, dass die Betroffenen mit Long-COVID und ME/CFS einen höheren Anteil an Typ-2-Muskelfasern aufwiesen, die schnell ermüden. Diese Fasern, auch glykolytische Fasern genannt, führen zu einer schnelleren muskulären Fatigue, da sie weniger effizient Energie produzieren als Typ-1-Fasern, die für Ausdaueraktivitäten ausgelegt sind. Dies liefert eine Erklärung dafür, warum Betroffene schon nach geringer Aktivität muskuläre Fatigue verspüren.

 

Dr. Wüst betonte im Vortrag, dass diese Veränderungen in den Muskelfasern nicht plötzlich auftreten, sondern tiefere strukturelle Probleme der Muskelfunktion widerspiegeln. Es handelt sich um eine allmähliche Verschiebung, die die reduzierte Ausdauer bei diesen Betroffenen erklärt.

 

2.2 Reduzierte Muskelkraft

Trotz vergleichbarer Muskelmasse produzierten die Betroffenen weniger Kraft als die gesunden Kontrollpersonen. Dr. Wüst betonte im Vortrag, dass die verringerte Muskelkraft auf eine intrinsische Dysfunktion der Muskeln zurückzuführen ist, unabhängig von der Größe der Muskeln. Die Studie zeigt, dass die Fähigkeit der Muskeln, Kraft zu produzieren, intrinsisch beeinträchtigt ist.

 

“Intrinsisch” bedeutet “von innen heraus” oder “eigenständig”. Dies kann durch Probleme auf zellulärer oder molekularer Ebene verursacht werden, wie etwa durch Stoffwechselstörungen, Schäden an Muskelproteinen oder Mitochondrienfehlfunktionen. Diese Erkenntnis verdeutlicht, dass die Muskelschwäche bei ME/CFS nicht auf Inaktivität oder Dekonditionierung zurückzuführen ist.

 

2.3 Mitochondriale Dysfunktion

Ein zentrales Ergebnis der Studie war die reduzierte Funktion der Mitochondrien, die für die Energieproduktion in den Zellen verantwortlich sind. Bei den Betroffenen war die mitochondriale Aktivität deutlich eingeschränkt, und nach der körperlichen Belastung verschlechterte sich diese Funktion weiter. Diese Dysfunktion der Mitochondrien erklärt, warum ME/CFS-Betroffene nach Aktivität eine drastische Verschlechterung ihrer Symptome erleben – die Post-Exertional Malaise. Dr. Wüst erwähnte im Vortrag, dass die mitochondriale Funktion bei Betroffenen nach der Belastung signifikant sank. Dies zeigt, dass die körperliche Aktivität, die bei gesunden Menschen förderlich wäre, bei Betroffenen zu einer weiteren Verschlechterung der mitochondrienbedingten Energieproduktion führt.

 

2.4 Metabolische Veränderungen

Zusätzlich zur verminderten mitochondrialen Funktion fanden Wüst und sein Team signifikante metabolische Veränderungen in den Muskelzellen der Betroffenen. Es gab einen Anstieg von glykolytischen Enzymen, die den anaeroben Stoffwechsel fördern – eine ineffiziente Art der Energiegewinnung, die schneller zur muskulären Fatigue führt. Diese Befunde unterstreichen die tiefergehenden Stoffwechselstörungen bei ME/CFS-Betroffenen, insbesondere nach körperlicher Anstrengung.

 

In der Studie wurde auch ein signifikanter Unterschied in den ATP-Synthesewegen festgestellt, was darauf hindeutet, dass die Betroffenen Schwierigkeiten haben, den normalen Energiekreislauf aufrechtzuerhalten, was zur muskulären Fatigue beiträgt.

 

3. Post-Exertional Malaise und muskuläre Schäden

Die Studie zeigte deutlich, dass die körperliche Belastung zu echten Muskelschäden bei den Betroffenen führte. In den Muskelbiopsien fanden sich Anzeichen von Zellschäden und gleichzeitig laufender Regeneration, was auf eine anhaltende Überforderung der Muskulatur hinweist. Diese Schäden waren bei den Betroffenen nach der Belastung stärker ausgeprägt als bei den gesunden Kontrollpersonen. Dr. Wüst vermutet, dass dies auf eine gestörte Anpassungsfähigkeit der Muskulatur zurückzuführen ist.

 

Nach der Belastung wurden in der Studie vermehrt Mikroclots und Immunzellen in den Muskeln der Betroffenen gefunden. Dr. Wüst betonte im Vortrag, dass diese Zellen bei der Reparatur helfen könnten, es jedoch unklar ist, ob sie auch zur Schädigung beitragen. Die Mikroclots nahmen bei den Betroffenen signifikant zu, jedoch wurde nicht festgestellt, dass sie die Kapillaren blockieren.

 

4. Amyloid-Ansammlungen und deren Rolle

In der Studie wurde auch eine Zunahme amyloid-haltiger Ablagerungen in den Muskeln nach der Belastung festgestellt, jedoch ohne Anzeichen, dass diese die Blutgefäße blockieren. Dies deutet darauf hin, dass sie möglicherweise zur pathophysiologischen Reaktion beitragen, aber ihre genaue Rolle ist unklar.

 

5. Immunsystem und Muskelschäden

Die Studie zeigte eine signifikante Zunahme von T-Zellen und Makrophagen in den Muskeln nach Belastung, was auf eine gestörte Immunantwort hinweist. Diese Immunzellen, die normalerweise an der Muskelregeneration beteiligt sind, könnten bei ME/CFS-Betroffenen zur Reparatur beitragen, aber möglicherweise auch die Muskelschäden verstärken.

 

6. Fazit der Studie

Dr. Wüst betont, dass die Ergebnisse seiner Studie eine klare Abgrenzung zwischen der Fatigue und der Post-Exertional Malaise bei ME/CFS-Betroffenen zeigen. Die reduzierte körperliche Leistungsfähigkeit sei auf eine gestörte mitochondriale Funktion und eine Verschiebung hin zu schneller ermüdbaren Muskelfasern zurückzuführen, während die PEM durch schnelle metabolische Veränderungen nach körperlicher Aktivität ausgelöst werde.

 

Die strukturellen Muskelschäden und die gestörte Regeneration verdeutlichen, dass diese Prozesse tiefgreifender sind. Dies widerspricht der Annahme, dass die Symptome lediglich durch Dekonditionierung oder mangelnde Bewegung verursacht werden.

 

Dr. Wüst betonte auch, dass die Muskelschäden und metabolischen Veränderungen nach Belastung weiter zunehmen und langfristige Auswirkungen auf die Muskelkraft und -ausdauer haben können. Weiterhin wies er darauf hin, dass körperliche Aktivität als Therapieform für ME/CFS-Betroffene nicht empfohlen werden sollte, da sie die Symptome verstärken kann.

 

7. Zukunftsperspektiven

Zum Abschluss seines Vortrags betont Dr. Wüst die Notwendigkeit weiterer Forschung, um die genauen Mechanismen der Muskelveränderungen bei ME/CFS und Long-COVID besser zu verstehen. Eine laufende Studie, die den Einfluss von strikter Bettruhe untersucht, soll helfen, die Unterschiede zwischen Inaktivität und den Folgen post-viraler Erkrankungen auf die Muskulatur zu ergründen.

 

Studie: Appelman B, Charlton BT, Goulding RP, Kerkhoff TJ, Breedveld EA, Noort W, Offringa C, Bloemers FW, van Weeghel M, Schomakers BV, Coelho P, Posthuma JJ, Aronica E, Joost Wiersinga W, van Vugt M, Wüst RCI. Muscle abnormalities worsen after post-exertional malaise in long COVID. Nat Commun. 2024 Jan 4;15(1):17. doi: 10.1038/s41467-023-44432-3. PMID: 38177128; PMCID: PMC10766651.