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Prof. Bhupesh Prusty: Mitochondrien als Schlüsselakteure in der Pathogenese von ME/CFS

 

Kurzzusammenfassung

 

Im ME/CFS-Labor „Prusty-lab“ gibt es aufregende Entwicklungen. Prof. Bhupesh Prusty und sein Team arbeiten an 7 bis 8 Projekten, um die zugrunde liegenden Mechanismen der komplexen Krankheit ME/CFS zu verstehen.

 

Mitochondriale Dysfunktion

Mitochondrien, die „Kraftwerke“ der Zellen, funktionieren bei ME/CFS-Betroffenen nicht richtig. Etwas im Blut oder Serum dieser Betroffenen versetzt die Mitochondrien in einen dysfunktionalen Zustand. Diese Dysfunktion kann sogar auf gesunde Zellen übertragen werden und beeinträchtigt die Energieproduktion dauerhaft.

 

Herpesviren als Schlüssel

Besonders das Epstein-Barr-Virus (EBV) könnte eine zentrale Rolle spielen. Prusty vermutet, dass das virale dUTPase-Protein Mitochondrien fragmentiert und deren ATP-Produktion stark beeinträchtigt. Dieses Protein dringt in den Zellkern ein und verursacht spezifische Schäden, was es von anderen Herpesviren unterscheidet. Reaktivierungen könnten die lange Krankheitsdauer bei ME/CFS erklären.

 

Antikörper und Immunsystem

Ein spannender Ansatz untersucht die Rolle der IgG-Antikörper von ME/CFS-Betroffenen. Diese scheinen mitochondriale Dysfunktionen zu verursachen, indem sie wichtige Proteine stören, die für die Zellfusion und -regeneration notwendig sind. Hypothesen deuten darauf hin, dass nicht nur ein Antikörper-Überschuss, sondern auch ein Mangel an bestimmten Antikörpern für die Symptome verantwortlich sein könnte.

 

Verbindung zu Long COVID

Viele Symptome und Mechanismen bei ME/CFS ähneln denen von Long-COVID. Prustys Forschung zeigt, dass SARS-CoV-2 Herpesviren wie EBV reaktivieren kann, was zu einer starken Dysfunktion der Mitochondrien führt. Diese viralen Reaktivierungen könnten zu den hartnäckigen Symptomen von ME/CFS und Long-COVID beitragen.

 

Prustys Team untersucht auch Entzündungen und Autoimmunreaktionen bei ME/CFS. Mit Technologien wie „Muscle-on-a-Chip“ erforschen sie, wie Antikörper die Muskelfunktion beeinflussen. Diese Erkenntnisse könnten dabei helfen, neue Therapien zu entwickeln, die gezielt gegen die mitochondriale Dysfunktion und immunologische Probleme bei ME/CFS und Long-COVID vorgehen.

  


 

Der Vortrag im Detail

 

1. Serum-Induzierte Dysfunktion

Es gibt Hinweise darauf, dass Substanzen im Blut oder Serum von ME/CFS-Betroffenen Mitochondrien in einen dysfunktionalen Zustand versetzen. Diese Dysfunktion kann sogar auf gesunde Zellen übertragen werden, wenn das Serum von Patienten auf diese übertragen wird. Ron Davis, Øystein Fluge und auch Bhupesh Prusty selbst haben in ihren Studien gezeigt, dass dieser Prozess die mitochondriale Funktion stark beeinträchtigt. Dies könnte ein Schlüsselmechanismus in der Pathogenese von ME/CFS sein.

 

2. Ähnlichkeiten zwischen ME/CFS und Long-COVID

Die pathologischen Ähnlichkeiten zwischen ME/CFS und Long-COVID, insbesondere in Bezug auf die mitochondriale Dysfunktion, sind auffällig. Studien zeigen, dass Long-COVID-Betroffene eine ähnliche Dysfunktion im Energiemanagement haben. ME/CFS und Long-COVID scheinen durch eine gestörte mitochondriale ATP-Produktion und eine Fehlregulation des Energiestoffwechsels geprägt zu sein. Darüber hinaus hat Prustys Forschung gezeigt, dass Herpesviren wie EBV und HHV-6 durch SARS-CoV-2 reaktiviert werden können, was zu mitochondrialen Schäden und Entzündungen führt, die in beiden Erkrankungen beobachtet werden.

 

3. Akutes und chronisches Krankheitsstadium

ME/CFS lässt sich laut Prusty in ein akutes und ein chronisches Stadium unterteilen. Im akuten Stadium, das in den ersten Monaten nach Krankheitsbeginn auftritt, spielen Infektionen wie Herpesviren eine Rolle. Das chronische Stadium, das Monate bis Jahre andauert, wird durch Entzündungen und Autoimmunreaktionen geprägt. Prusty betont, dass die mitochondriale Dysfunktion in beiden Stadien relevant ist, jedoch unterschiedliche Mechanismen zugrunde liegen, was eine zielgerichtete Therapie erschwert. Während das akute Stadium oft durch virale Reaktivierungen wie EBV oder HHV-6 getrieben wird, spielen im chronischen Stadium Autoimmunprozesse eine größere Rolle.

 

4. Die Rolle von Herpesviren

Herpesviren, insbesondere das Epstein-Barr-Virus (EBV), könnten eine zentrale Rolle bei der Entstehung von ME/CFS spielen. Prusty vermutet, dass das EBV-Protein dUTPase Mitochondrien fragmentiert und die ATP-Produktion hemmt. Eine dUTPase ist ein Enzym, das normalerweise am DNA-Reparaturprozess beteiligt ist, aber in diesem Fall zu mitochondrialer Fragmentierung führt, indem es die Mitochondrien daran hindert, effizient zu arbeiten. Dieses Protein scheint das einzige unter den Herpesviren zu sein, das in den Zellkern eindringt, was es von anderen unterscheidet. Diese virale Beteiligung könnte erklären, warum viele ME/CFS-Betroffene eine Reaktivierung von Herpesviren zeigen.

 

5. Mitochondriale Fragmentierung und Hyperfusion

Prusty erklärte, dass die Fragmentierung und Hyperfusion der Mitochondrien ein Schlüsselmechanismus der mitochondrialen Dysfunktion ist. Diese Prozesse führen dazu, dass Mitochondrien zusammenklumpen und ihre Effizienz verlieren. Diese Dysfunktion könnte eine wichtige Rolle bei der Erklärung der anhaltenden Energieprobleme spielen, die bei ME/CFS-Betroffenen beobachtet werden. Jene Prozesse führen zu einem ATP-Mangel, der sich direkt auf die Zellfunktion auswirkt. Oxidativer Stress, bei dem reaktive Sauerstoffspezies (ROS) in übermäßigen Mengen produziert werden, verstärkt diese Probleme und führt zu weiteren mitochondrialen Schäden.

 

6. Herpesviren und Long-COVID

Sowohl SARS-CoV-2 als auch Herpesviren wie EBV könnten eine Rolle bei der Entstehung mitochondrialer Dysfunktionen bei Long-COVID-Betroffenen spielen. Prustys eigene Forschung hat gezeigt, dass SARS-CoV-2 Herpesviren reaktivieren kann, was zu einer gemeinsamen viralen Pathogenese von ME/CFS und Long-COVID hindeutet. In seinen Laborexperimenten konnte Prusty zeigen, dass die SARS-CoV-2-Spike-Proteine und Herpesviren zusammenwirken und die Mitochondrien schädigen.

 

7. Antikörper und mitochondriale Dysfunktion

Prusty und sein Team haben gezeigt, dass IgG-Antikörper von ME/CFS-Betroffenen eine mitochondriale Dysfunktion in gesunden Zellen verursachen können. Diese IgG-Antikörper führen zu einer Fragmentierung der Mitochondrien und einer Reduktion wichtiger Proteine wie Mitofusin 1, die für die Fusion der Mitochondrien erforderlich sind. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass Autoimmunprozesse in der Pathogenese von ME/CFS eine Rolle spielen könnten.

 

8. Hypothese: Fehlende Antikörper?

Prusty stellt die Hypothese auf, dass die Dysfunktion nicht durch einen Überschuss an Antikörpern, sondern durch einen Mangel an bestimmten Antikörpern verursacht werden könnte. Diese Hypothese basiert auf der Annahme, dass ein Defekt in den Antigen-Antikörper-Komplexen vorliegen könnte, der die mitochondriale Funktion beeinflusst. Besonders auffällig ist eine verringerte Menge an natürlichem IgM, was darauf hinweist, dass das Immunsystem nicht richtig reagiert und dadurch die mitochondriale Dysfunktion verstärkt wird. Sollten sich diese Erkenntnisse bestätigen, könnte dies zu völlig neuen Therapieansätzen führen, bei denen nicht die Depletion, sondern die Ergänzung von Antikörpern im Mittelpunkt steht.

 

9. Zukünftige Forschung: Muscle-on-a-Chip

Prusty und sein Team nutzen innovative „Muscle-on-a-Chip“-Modelle, um die Wirkung von IgG aus dem Blut von ME/CFS-Betroffenen auf Muskeln zu untersuchen. Diese Technologie ermöglicht es, die zellulären Auswirkungen der Antikörper auf die Muskelfunktion und die mitochondriale Gesundheit detailliert zu untersuchen. Diese Forschung, die in Zusammenarbeit mit Dr. Carles Rentero aus Barcelona durchgeführt wird, könnte neue Einblicke in die Mechanismen der Krankheit und potenzielle Therapieansätze liefern.

 

In Prustys Labor werden derzeit sieben bis acht verschiedene Projekte zu ME/CFS bearbeitet. Diese befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten der Krankheit, darunter die mitochondriale Dysfunktion, die Rolle von Herpesviren und immunologische Mechanismen. Prustys Team ist bestrebt, durch diese vielfältigen Forschungsansätze neue Erkenntnisse über die Pathogenese von ME/CFS zu gewinnen und potenzielle Therapieansätze zu entwickeln.

 


 

Weitere Quellen

 

Schreiner P, Harrer T, Scheibenbogen C, Lamer S, Schlosser A, Naviaux RK, Prusty BK. Human Herpesvirus-6 Reactivation, Mitochondrial Fragmentation, and the Coordination of Antiviral and Metabolic Phenotypes in Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome. Immunohorizons. 2020 Apr 23;4(4):201-215. doi: 10.4049/immunohorizons.2000006. PMID: 32327453.

Link zur Quelle

 

Liu Z, Hollmann C, Kalanidhi S, Grothey A, Keating S, Mena-Palomo I, Lamer S, Schlosser A, Kaiping A, Scheller C, Sotzny F, Horn A, Nürnberger C, Cejka V, Afshar B, Bahmer T, Schreiber S, Vehreschild JJ, Miljukov O, Schäfer C, Kretzler L, Keil T, Reese JP, Eichner FA, Schmidbauer L, Heuschmann PU, Störk S, Morbach C, Riemekasten G, Beyersdorf N, Scheibenbogen C, Naviaux RK, Williams M, Ariza ME, Prusty BK. Increased circulating fibronectin, depletion of natural IgM and heightened EBV, HSV-1 reactivation in ME/CFS and long COVID. medRxiv [Preprint]. 2023 Jun 29:2023.06.23.23291827. doi: 10.1101/2023.06.23.23291827. PMID: 37425897; PMCID: PMC10327231.

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