Kurzzusammenfassung
Eine Studie der Universität Edinburgh zeigt erstmals klare biologische Indikatoren für ME/CFS im Blut. Diese Ergebnisse widerlegen die Annahme, dass ME/CFS durch Inaktivität verursacht wird.
Die Untersuchung, die auf Daten der UK Biobank basiert, verglich die Blutwerte von 1.450 Personen mit ME/CFS und über 130.000 gesunden Probanden.Dabei wurden bis zu 300 Molekular- und Zellbiomarker analysiert, einschließlich fast 3.000 Proteine. Diese umfassende Datenbasis ermöglichte es den Forschern, feinste Unterschiede zu erkennen, die in kleineren Studien möglicherweise nicht sichtbar wären.
Die Analyse offenbarte signifikante Unterschiede in den Blutwerten, selbst nachdem Unterschiede aufgrund von Alter, Geschlecht und Aktivitätsniveau berücksichtigt wurden. "Die zellulären und molekularen Unterschiede im Blut deuten auf chronische Entzündungen, Insulinresistenz und Lebererkrankungen hin. Das Forschungsteam sagte, dass diese Kombination von Blutunterschieden in keiner anderen ihnen bekannten Krankheit zu sehen ist." Diese Unterschiede bestehen sowohl bei Männern als auch bei Frauen, was auf einen gemeinsamen Krankheitsmechanismus hinweist.
Trotz der Vielzahl an Markern konnte kein einzelner, spezifischer Biomarker zuverlässig zwischen ME/CFS-Patienten und gesunden Personen unterscheiden. Die Studie zeigt jedoch durch die Vielzahl an subtilen Unterschieden, dass es sich um eine reale biologische Veränderung handelt. Die Studie hat einige Einschränkungen, wie die Möglichkeit, dass nicht gemessene Faktoren wie Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel oder unterschiedliche Ernährungsformen die Ergebnisse beeinflussen könnten. Zudem könnten stark erkrankte Personen, die häufig nicht an einer Biobank-Studie teilnehmen können, in dieser Untersuchung unterrepräsentiert sein.
Insgesamt belegen diese neuen Erkenntnisse, dass ME/CFS klare biologische Signale im Blut hinterlässt und nicht auf Inaktivität zurückzuführen ist. Die Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven für die Diagnose und Behandlung von ME/CFS.
Studie: Replicated blood-based biomarkers for Myalgic Encephalomyelitis not explicable by inactivity | Sjoerd Viktor Beentjes, Julia Kaczmarczyk, Amanda Cassar, Gemma Louise Samms, Nima S. Hejazi, Ava Khamseh, Chris P. Ponting | medRxiv 2024.08.26.24312606; doi: https://doi.org/10.1101/2024.08.26.24312606
Die Studie im Detail
1. Einführung in die Studie
Die Studie untersucht Blutbiomarker bei ME/CFS-Betroffenen und vergleicht sie mit einer gesunden Kontrollgruppe. Ziel ist es, Biomarker zu finden, die nicht durch Inaktivität erklärbar sind. Frühere Studien hatten oft kleine Stichproben und unklare Ergebnisse. Diese Untersuchung basiert auf Daten der UK Biobank mit 1.455 ME/CFS-Fällen und 131.303 Kontrollen. Die Erkenntnisse könnten zur Entwicklung diagnostischer Marker beitragen.
2. Was sind NMR und Metaboliten?
NMR (Kernspinresonanzspektroskopie) ist eine Methode zur Untersuchung der chemischen Struktur von Molekülen. Metaboliten sind die Produkte des Stoffwechsels, die helfen, den Zustand des Energiestoffwechsels im Körper zu verstehen. In dieser Studie wurden NMR-Metaboliten genutzt, um Stoffwechselunterschiede, insbesondere bei Lipiden, zwischen ME/CFS-Betroffenen und Kontrollen zu identifizieren.
3. Studiendesign und Diagnosekriterien
Die Forscher verwendeten selbstberichtete Diagnosen von ME/CFS in der UK Biobank, basierend auf internationalen Konsenskriterien. Kontrollpersonen waren gesund. Untersucht wurden Blutmerkmale, NMR-Metaboliten und Proteine, um potenzielle Unterschiede festzustellen, die auf systemische Fehlfunktionen bei ME/CFS hinweisen könnten.
4. Was ist Proteomik?
Proteomik bezeichnet die Analyse der Gesamtheit aller Proteine in einer Zelle oder einem Organismus. Proteine übernehmen zahlreiche Funktionen im Körper, von Immunreaktionen bis hin zu Zellprozessen. In dieser Studie wurden über 2.900 Proteine analysiert, um spezifische Unterschiede in der Expression von Proteinen bei ME/CFS zu identifizieren.
5. Hauptbefunde: Blutmarker
ME/CFS-Betroffene zeigten signifikante Unterschiede in 36 Blutmerkmalen, die auf chronische Entzündungen, Insulinresistenz und Leberdysfunktionen hinweisen. Erhöhte C-reaktives Protein (CRP), Triglyceride und Alanin-Aminotransferase (ALT) sind besonders relevant. Diese Marker könnten Hinweise auf chronische Entzündungen und metabolische Störungen bei ME/CFS geben.
6. Was ist oxidativer Stress?
Oxidativer Stress entsteht, wenn ein Ungleichgewicht zwischen freien Radikalen und Antioxidantien besteht, was zu Zellschäden führt. Bei ME/CFS könnte dies eine Rolle spielen, da in der Studie erhöhte Werte des antioxidativen Enzyms Superoxid-Dismutase (SOD3) festgestellt wurden. Dies weist auf erhöhte oxidative Belastung bei den Betroffenen hin.
7. NMR-Metaboliten-Befunde
Von den 251 gemessenen NMR-Metaboliten zeigten 189 signifikante Unterschiede bei ME/CFS-Betroffenen. Betroffen waren hauptsächlich Lipide, wie Lipoproteine und Triglyceride. Besonders bei weiblichen Betroffenen wurden erhöhte Alaninwerte festgestellt, was auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Krankheit hindeuten könnte.
8. Proteomik-Befunde
Von den 2.923 untersuchten Proteinen war Superoxid-Dismutase (SOD3) bei beiden Geschlechtern signifikant erhöht. Dieses Enzym neutralisiert freie Radikale, was auf einen gestörten oxidativen Stress hinweist. Auch Proteine des Komplementsystems, wie CR2, wiesen signifikante Unterschiede auf, was auf eine Immunaktivierung bei ME/CFS hinweisen könnte.
9. Geschlechterunterschiede bei Biomarkern
Obwohl viele Biomarker bei beiden Geschlechtern verändert waren, gab es Unterschiede. Frauen wiesen erhöhte Alaninwerte auf, während Männer Veränderungen in der Erythrozytenverteilungsbreite zeigten. Dies könnte auf unterschiedliche Krankheitsmechanismen bei Männern und Frauen hinweisen und sollte in zukünftigen Forschungen berücksichtigt werden.
10. Mechanismen von Entzündungen bei ME/CFS
Entzündungen sind eine wichtige Immunantwort, die bei ME/CFS chronisch aktiviert sein könnte. Die Studie fand erhöhte CRP-Werte, einen wichtigen Entzündungsmarker. Diese chronischen Entzündungsprozesse könnten zu den anhaltenden Symptomen wie Fatigue und Schmerzen beitragen und neue Ansatzpunkte für therapeutische Maßnahmen bieten.
11. Analyse der Mediatoren: Aktivität
Die meisten Biomarkerunterschiede konnten nicht durch die reduzierte Aktivität der ME/CFS-Betroffenen erklärt werden. Nur ein Blutmerkmal, das mittlere korpuskuläre Hämoglobin, zeigte einen indirekten Effekt, der mit Bewegungsmangel in Verbindung stand. Dies deutet darauf hin, dass die beobachteten Veränderungen tatsächlich Krankheitsprozesse widerspiegeln.
12. Bedeutung für die Diagnostik
Die große Anzahl an veränderten Biomarkern könnte zur Entwicklung eines diagnostischen Panels für ME/CFS führen. Während keiner der Marker allein sensitiv genug ist, könnte eine Kombination dieser Werte genutzt werden, um die Diagnose zu verbessern und den Krankheitsverlauf besser zu verstehen.
13. Schlussfolgerung der Studie
Die Studie zeigt, dass die molekularen und zellulären Unterschiede bei ME/CFS-Betroffenen nicht durch Bewegungsmangel erklärbar sind. Die Ergebnisse liefern wichtige Hinweise für zukünftige Forschung und könnten langfristig zur Entwicklung diagnostischer Tests und neuer Therapieansätze beitragen. Weitere Forschung ist nötig, um diese Marker zu validieren.