Durch ME/CFS verlieren wir nicht nur unseren gesunden Körper, sondern auch unsere Freiheit. ME/CFS sperrt uns ein. Bewegung, Entscheidungen, einfache Aktivitäten – alles, was für andere selbstverständlich ist, wird für uns zu einer massiven Herausforderung.
Hinzu kommt - wir können unser Gewicht nicht mehr regulieren. Warum? Weil unsere Aktivität durch die Post-Exertionelle Malaise (PEM) stark eingeschränkt ist. Pacing ist zur Pflicht geworden. Absolute Ruhe hat absolute Priorität. Jeder Schritt muss abgewogen werden. Hinzu kommen etliche Dysfunktionen, die es unmöglich machen, unser Gewicht zu regulieren.
Unser Stoffwechsel ist gestört. Der aerobe Stoffwechsel, der normalerweise Fett abbaut, funktioniert bei ME/CFS nicht richtig. Stattdessen greift unser Körper auf ineffiziente, anaerobe Wege zurück, was den Zuckerstoffwechsel überfordert. Das Ergebnis? Eine zusätzliche Last durch Gewichtsprobleme. Und während der Körper auf Muskelproteine zurückgreift, weil er Fett und Zucker nicht richtig verwerten kann, verlieren wir noch mehr an Kraft.
Medikamente wie Abilify oder Corticoide können Linderung verschaffen, steigern jedoch unseren Appetit und verlangsamen den Stoffwechsel.
Und dann gibt es noch gefährliche Diäten. Eine Kalorienreduktion, die eigentlich helfen sollte, wird bei ME/CFS zum Feind. Der ohnehin gestörte Stoffwechsel wird weiter destabilisiert und die Energieproduktion bricht noch mehr ein.
Einige von uns verlieren ungewollt Gewicht. Appetitlosigkeit, Nahrungsmittelunverträglichkeiten – unser Körper gibt keine klaren Antworten mehr. Es fühlt sich an, als ob wir nur noch Zuschauer sind, während unser Körper die Entscheidungen trifft.
Und genau das ist der Kern des Problems: der Kontrollverlust. Wir sind gefangen in einem Körper, der nicht mehr mit uns im Einklang ist. Egal was wir tun, die Reaktion bleibt meist unberechenbar. Dieser ständige Kampf, diese ständige Erinnerung daran, dass wir nicht mehr die Kontrolle über uns selbst haben, zermürbt uns.
Wir wollen unsere Selbstbestimmung zurück. Und Schokolade. Und Eis. Für alle.
Wissenschaftliche Hintergründe
1. Einführung in Stoffwechselstörungen bei ME/CFS
Die zugrunde liegenden mitochondrialen und metabolischen Störungen bei ME/CFS führen zu einem ineffizienten aeroben Stoffwechsel. Post-Exertionelle Malaise (PEM) verschärft diese Dysfunktionen und reduziert die Fähigkeit des Körpers, Energie effizient zu nutzen. PEM, gekoppelt mit der daraus resultierenden verminderten Kraft und Bewegungsfähigkeit, trägt maßgeblich zu Gewichtsveränderungen bei, da der Körper Fett und Zucker nicht effektiv verwerten kann.
2. Gestörter Zucker- und Fettstoffwechsel
Der Zucker- und Fettstoffwechsel ist bei ME/CFS aufgrund mitochondrialer Dysfunktionen stark gestört. Der Körper wechselt frühzeitig von der aeroben zur anaeroben Energiegewinnung, was zu einer ineffizienten Verwertung von Glukose und Fett führt. Diese anaerobe Energieproduktion kann kurzfristig Energie liefern, jedoch auf Kosten der Muskelausdauer und starker Fatigue. Dies erklärt sowohl die Gewichtszunahme als auch den Muskelverlust. Bei einigen Betroffenen führen Hormonstörungen wie Cortisol-Dysregulation und Insulinresistenz zu einer zusätzlichen Erschwerung der Fettverbrennung.
3. Post-Exertionelle Malaise (PEM) und Muskelabbau
Post-Exertionelle Malaise (PEM) verschlechtert die Symptome nach Anstrengung und führt zu einer verminderten Regenerationsfähigkeit der Muskeln. Die Erholung ist entscheidend für den Muskelaufbau, da sich Muskeln nach Belastung regenerieren und wachsen müssen. Bei ME/CFS-Betroffenen ist diese Regeneration jedoch stark eingeschränkt, was zu einem fortschreitenden Muskelabbau führt, da die Muskeln nicht ausreichend regenerieren können. Die übermäßige Produktion von Laktat (Milchsäure) während anaerober Aktivitäten verstärkt den Abbau zusätzlich.
4. Muskelproblematik und Fasertypen bei ME/CFS
ME/CFS-Betroffene weisen eine erhöhte Anzahl von Typ-II-Muskelfasern auf, die für kurze, intensive Bewegungen optimiert sind, jedoch nicht für Ausdauer. Typ-I-Fasern, die für Ausdauerleistungen verantwortlich sind, sind bei den Betroffenen vermindert. Diese Verschiebung der Muskelfasertypen, zusammen mit der gestörten aeroben Energiegewinnung, führt sowohl zu muskulärer Fatigue als auch zu einer reduzierten Muskelkraft, was schon nach kurzer Aktivität zu einer signifikanten muskulären Beeinträchtigung führt.
5. Rolle der Mitochondrien bei Energieproblemen
Mitochondriale Dysfunktion ist ein zentraler Mechanismus bei ME/CFS. Die Mitochondrien produzieren nicht genug ATP, was die Energiebereitstellung des Körpers beeinträchtigt. Dies wirkt sich direkt auf die Fähigkeit der Muskeln aus, Energie aus Glukose und Fett zu gewinnen, was den Muskelaufbau erschwert und die Fettverbrennung behindert. Diese Dysfunktion verstärkt das Risiko für Muskelabbau und Gewichtszunahme.
6. Auswirkungen von Medikamenten auf den Stoffwechsel
Medikamente wie Glucocorticoide und Antipsychotika verstärken die bestehenden Stoffwechselstörungen bei ME/CFS. Sie erhöhen den Appetit und verlangsamen den Stoffwechsel, was häufig zu einer Gewichtszunahme führt. Gleichzeitig beeinflussen sie den Zucker- und Fettstoffwechsel negativ, was das Risiko von Gewichtszunahme und Muskelverlust weiter erhöht.
7. Chronische Entzündungen und Stoffwechselprobleme
Chronische Entzündungen, die häufig bei ME/CFS auftreten, beeinträchtigen den Zucker- und Fettstoffwechsel erheblich. Entzündliche Prozesse fördern katabole Mechanismen, die den Abbau von Muskelmasse beschleunigen. Dies trägt zu einer negativen Energiebilanz bei und fördert zusätzlich die Gewichtszunahme durch gestörte Fettverbrennung und den Muskelabbau.
8. Verminderte Durchblutung und Muskelregeneration
Die verminderte Durchblutung der Muskeln führt zu einer geringeren Sauerstoffversorgung, was die Regenerationsfähigkeit der Muskeln bei ME/CFS stark einschränkt. Ohne ausreichende Durchblutung und Sauerstoffversorgung können sich die Muskeln nach Belastung nicht erholen, was zu einem fortschreitenden Muskelabbau führt. Dies erklärt teilweise, warum Betroffene trotz körperlicher Schonung Muskelmasse verlieren.
9. Gewichtsabnahme bei ME/CFS
Gewichtsabnahme bei ME/CFS kann durch Appetitlosigkeit, Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Störungen des Nährstoffmetabolismus verursacht werden. Insbesondere schwerer betroffene Patienten berichten häufig von stärkeren Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme und -verwertung, was die Gewichtsabnahme zusätzlich begünstigen kann. Dennoch ist die genaue Korrelation zwischen Gewichtsverlust und der Schwere der Erkrankung wissenschaftlich noch nicht ausreichend geklärt.
10. Die Gefahr von Diäten bei ME/CFS
Restriktive Diäten bergen besondere Risiken, da sie die bereits bestehenden Stoffwechselprobleme verschärfen können. Eine reduzierte Kalorienzufuhr verstärkt die mitochondriale Dysfunktion und drosselt die Energieproduktion weiter. Dies kann zu verstärkter Fatigue und einer Verschlechterung der Post-Exertionellen Malaise (PEM) führen.
Die Inhalte des Blog-Beitrags basieren auf den Vorträgen von Prof. Christian Puta, Prof. Jürgen Steinacker und Dr. Rob Wüst bei der Fatigatio Fachtagung 2024, die auch als Blog-Beiträge auf unserer Website zu finden sind. Die Inhalte wurden folgendermaßen abgeleitet:
1. Christian Puta:
Er erklärt, wie mikrobiologische Dysbalancen und Immunaktivierungen bei ME/CFS und Long-COVID zu entzündlichen Prozessen und einer Beeinträchtigung des Energiehaushalts führen. Diese Informationen bilden die Grundlage für die Darstellung der Entzündungsprozesse und der Endothelfunktion. Puta beschreibt zudem die Beeinträchtigung der Sauerstoffextraktion durch mikrovaskuläre Veränderungen und deren Auswirkungen auf die mitochondriale Funktion, was die Erklärungen zur Sauerstoffversorgung und Energieproduktion im Blog-Beitrag ergänzt.Darüber hinaus behandelt er den gestörten Zuckerstoffwechsel, einschließlich der erhöhten Laktatwerte in Ruhe bei ME/CFS-Patienten.
2. Jürgen Steinacker:
Steinacker geht detailliert auf mitochondriale Schäden und Störungen in der Atmungskette ein, die zu einer ineffizienten Energieproduktion und einer Verschiebung hin zum anaeroben Stoffwechsel führen. Diese Punkte sind zentral für die Darstellung der mitochondrialen Dysfunktionen im Blog-Beitrag. Er beschreibt außerdem Störungen im Glukose- und Fettstoffwechsel, insbesondere die ineffiziente Beta-Oxidation und den gestörten Glukoseimport in die Mitochondrien, was zu einer Ansammlung von Laktat und einer ineffektiven Fettverwertung führt.
3. Rob Wüst:
Wüst erklärt die muskulären und energetischen Veränderungen, die nach körperlicher Belastung bei ME/CFS und Long-COVID-Patienten auftreten. Seine detaillierten Ausführungen zu Muskelpathologien und mitochondrialer Dysfunktion nach post-exertioneller Malaise (PEM) bilden die Grundlage für die entsprechenden Abschnitte im Blog-Beitrag.
Weitere Quellen:
Appelman B, Charlton BT, Goulding RP, Kerkhoff TJ, Breedveld EA, Noort W, Offringa C, Bloemers FW, van Weeghel M, Schomakers BV, Coelho P, Posthuma JJ, Aronica E, Joost Wiersinga W, van Vugt M, Wüst RCI. Muscle abnormalities worsen after post-exertional malaise in long COVID. Nat Commun. 2024 Jan 4;15(1):17. doi: 10.1038/s41467-023-44432-3. PMID: 38177128; PMCID: PMC10766651.
Bizjak DA, Ohmayer B, Buhl JL, Schneider EM, Walther P, Calzia E, Jerg A, Matits L, Steinacker JM. Functional and Morphological Differences of Muscle Mitochondria in Chronic Fatigue Syndrome and Post-COVID Syndrome. Int J Mol Sci. 2024 Jan 30;25(3):1675. doi: 10.3390/ijms25031675. PMID: 38338957; PMCID: PMC10855807.
Haunhorst S, Dudziak D, Scheibenbogen C, Seifert M, Sotzny F, Finke C, Behrends U, Aden K, Schreiber S, Brockmann D, Burggraf P, Bloch W, Ellert C, Ramoji A, Popp J, Reuken P, Walter M, Stallmach A, Puta C. Towards an understanding of physical activity-induced post-exertional malaise: Insights into microvascular alterations and immunometabolic interactions in post-COVID condition and myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome. Infection. 2024 Sep 6. doi: 10.1007/s15010-024-02386-8. Epub ahead of print. PMID: 39240417.
Die Zusammenfassungen der einzelnen Vorträge können als Blog-Beiträge nachgelesen oder als PDF-Dateien unter Handouts abgerufen werden.